Schwarz macht schlank - sagt eine, die es besser weiß. Mit der Sporttasche auf dem Weg zur Meerjungfrau, ungeschminkte Wahrheiten auf den faltenreichen Lippen ...
Für diese Maske habe ich mal den 2. Preis im Kostümwettbewerb
des örtlichen Karnevalvereins gewonnen. Von meiner jüngsten Tochter
verabschiedete ich mich an jenem Abend aber vor Anlegen der Maske.
Denn tags vorher, beim "General-Schminken" (eine dreiviertel Stunde
dauerts schon, vor allem, wenn die Hand angesichts fortschreitender
Verwandlung zunehmend vor Spannung zittert...) brach diese angesichts
einer sich grausig verändernden Mama in hysterisches Geschrei aus.
Es muss wohl nicht besonders betont werden, dass selbst beste Freunde
nicht erkannten, wer hinter dieser Maske steckte ...
Es ist schon spannend, unerkannt an denen vorüberzugehen, die frau
mehr oder weniger tagtäglich sieht, stehenzubleiben, ihnen direkt in
die Augen zu sehen, und dann, nach kurzem Zögern, weiterzugehen - das
Rätselraten in ihren Augen, fragende Blicke: kenne ich die oder den?
Dann die entschiedene Antwort: NEIN!
Da fällt es nicht leicht, ernst zu bleiben, fortgesetzt gruselig zu
gucken, abschätzend-eiskalte Blicke von oben nach unten gleiten zu lassen:
bist du ein geeignetes Opfer für hexische Experimente?
Unheimlich genug müssen diese Blicke schon sein, denn so mancher weicht
zurück, sicheren Abstand suchend.
Zwischendurch immer mal wieder ein Gang an die Theke - mit tiefer,
rauchiger, geheimnisvoll krächzender Stimme ein Bier bestellen. Unerkannt
bleiben. "Du siehst aus, als ob Du Durst auf ein giftigeres Gebräu hättest",
sagt da einer, der mein Bier zapft. "Und wenn Du zuviel Schaum draufmachst,
wirst Du die Macht kennenlernen, die giftige Gebräue verleihen!" flüstere
ich, eine Tonlage drohender. Denn Schaum schadet den Falten um meinen
Mund, die soviel Mühe gekostet haben. Den Blick senken und das verräterische
Lachen verbergen.
Nach jedem Bier schnell zum Spiegel, den Faltenwurf kontrollieren.
Tiefes Erschrecken bei jedem Blick hinein, eigentlich nicht anders
als jeden Morgen - wer kennt das nicht? Halb verschlafen das im unbestechlich
grellen Licht betrachten, was die Jahre angerichtet haben...
Im Spiegel nebenan eine wunderschöne kosmische Dame, äußerst
ästhetische Kreation in Silber und Bauch - alles gut geformt und
wohlgeraten.
Ich trage schwarz. Macht schlank, sagt man.
Dann wieder hinein ins Getümmel, weiterhin unerkannt bleibend. Und mich mittlerweile fragend, woran man mich überhaupt und generell erkennt. An den Augen nicht, offensichtlich, denn die sind das einzig ungeschminkte Unverkleidete an mir. An der Stimme auch nicht, die sich so leicht verstellen lässt. Vielleicht an der Hose, die, gut gepflegt, die vergangenen fast 20 Jahre meines Lebens überdauerte? Und die ich heute ausnahmsweise nicht trage? Ein bisschen Wasserfarbe aufs Gesicht gemalt und schon allen unbekannt. Wie schade, dass sich Falten zwar hinzu-, aber nicht so leicht wegschminken lassen...
Einer im Saal kennt mich. Mein Gatte. Der ist genauso geschminkt wie ich. Das gleiche Kostüm ist es auch, nur trägt er den Schleier vor dem Mund, weil der Bart nicht wegzuschminken war. Zur Preisverleihung finden wir zusammen, denn wir sind als Gruppe gekommen. Die Diabolos. Das ist der Augenblick des Erkennens. Für unsere Freunde.
Und für mich. Es sind nicht die Augen, es ist nicht die Stimme. Und auch nicht die Hose, die alle kennen. Es ist der Größenunterschied, der mich entlarvt.
Der Lohn für alles: eine Sporttasche. Gute Marke, und dringend gebraucht von der ältesten Schwester meiner Töchter, gerade volljährig, als Behältnis für ihr Tenniszeug. Aber nur geliehen, sage ich später, denn ich brauche die Tasche noch. Für mein Training. Weil mir die kosmische Dame so gut gefallen hat, die mit ohne Bauch. Und weil schwarz eben nur schlank macht, wenn darüber befindlich. Und weil ich große Pläne für den Karneval in zwei Jahren habe.
Als Meerjungfrau.